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Kartographie

Reisen ohne Karte ist heute kaum vorstellbar, auch ein Navi zeigt sie. In der Antike gab es zwar Karten, aber man reiste über Land mit einem Itinerar von Ort zu Ort und entlang der Küste mit einem Periplus mit Blick auf die Landmarken der Küste. Gezeichnete Karten waren zuerst Seekarten, dann erst Landkarten, aber immer dienten sie der Orientierung und insbesondere Weltkarten (lat. mappaemundi, frz. mappemondes) sind ein Ausdruck eines zeittypischen Weltbildes so wie der Globus Ausdruck der Raumvorstellung ist.

Die Merkmale einer Karte sind deren Rand, der Strich und der leere Raum dazwischen. Erst wird der Rand festgelegt (Horizont & Ende Gelände), dann der Strich geführt; Letzteres als Ausdrucks eines Eindrucks, als radikal reduzierte und abstrahierte Natur. Der horror vacui als Angst vor dem weißen Nichts verführt dazu, mehr zu zeichnen, als ist und gebiert Ungeheuer: den Riesenwal auf See- und die Löwen auf Landkarten. Der Strich bildet nicht das Nahe ab, sondern die Ränder der Wahrnehmung an der Grenze zur Undeutlichkeit und macht den Reisenden damit zum Grenzgänger. Geographen beschränken sich dort auf das Eindeutige, Künstler gewähren der Phantasie die Macht über den Strich 1). In einer Zeit der Navigationssysteme muss sich die Karte neu erfinden, beispielsweise sind die Stadtpläne von Blue Crow Media solche Karten, die die Welt bedeuten (Kevin Hanschke in FAZ 20.11.2021).

Entdecker hatten weder das eine noch das andere, schließlich zogen sie ja aus, um Unbekanntes zu erforschen und Wissen über die Erde zu sammeln. Das Wissen einheimischer Führer zeigte den Einstieg in Form von Natural Mapping (auch: Indigenious mapping), wechselte aber dabei zwischen den Weltbildern der sich Begegnenden und wurde dabei neu erfunden. Dabei erweiterte sich die Welt von mal zu mal. Reisende fragen sich jeden Tag erneut: Wohin?

Sich »natürlich« orientieren und verirren

Solange das Ziel nicht in Sicht ist, benötigt man Informationen zur räumlichen Orientierung oder man folgt einfach der Straße. Der Weg, dem man folgen kann, setzt bestehenden Verkehr voraus, also andere Menschen mit ähnlichen Zielen. Sich für den richtigen Weg zu entscheiden (Wegfindung), ist auch ein sozialer Akt, der Vertrauen erfordert, damit man sich nicht verirrt. Irrwische und Irrlichte wollen dies verhindern.

Reisetypisch ist es, raumbezogene Informationen linear zu sammeln, als Tagesetappen, Logbuch oder Roadbook. Diese können zeichnerisch verdichtet werden, in der einfachsten Form als lineare Wegekarte oder Itinerar. Die vier Voraussetzungen dafür sind 2):

Seit vielen Jahrtausenden praktizieren Menschen dies als Felskunst 3), Sandbild, Steinsetzung, Wegzeichen, Stabkarten, siehe Natural Mapping. Enthält eine Karte mehr als einen Weg, wird sie zur Orientierungskarte, weil sie mindestens Himmelsrichtungen angeben muss, besser auch einen Massstab. Das älteste Koordinatensystem bezieht sich auf Sterne, Sonne, Mond und wurde erzählt, etwa als Gedicht:

Abenteurer und Vermesser

Kartographie gilt als grafische Darstellung (Kunst und Handwerk 4) von subjektiven Beobachtungen und objektiven Ergebnissen der Forschung 5). Karten sind im besten Fall gute Fiktionen, die die Realität veranschaulichen 6). Dabei ist die Art der Karte durch das Medium geprägt: Buchdruck, Farbdruck, Monitor. Das führt absurderweise auch dazu, dass Expeditionen unternommen wurden auf der Suche nach kartographischen Merkmalen, die konstruiert sind, etwa die Datumsgrenze als Problem der Längengrade:

Vielleicht hat der eine oder andere Globetrotter in Ecuador schon einmal eine Pyramide gesehen? In Caraburo und Oyambaro, Gemeinde Yaruquí, stehen zwei, andere stehen in San Antonio de Pichincha, in Calacalí und Quito. Sie erinnern an die Arbeit von Vermessungsexpeditionen.

Dass die Erde keine Scheibe ist - darüber war man sich einig. Auch darüber, dass sie wohl die Gestalt einer Kugel habe. Doch nun ergaben neueste Messungen, daß diese Kugel mitnichten gleichmäßig sei. Isaac Newton stellte als erster die These auf, daß die Erde an den Polen abgeflacht sein müsse. Die These konnte überprüft werden, indem die Länge eines Längengrads am Äquator mit dem eines in Polnähe verglichen wurden. Zwölf Forscher aus verschiedenen europäischen Ländern brachen 1735 auf, um einen Längengrad in Ecuador zu vermessen. Es waren die ersten Nichtspanier, die einen Teil des südamerikanischen Kontinents erkundeten. Zehn Jahre blieben sie unterwegs, denn ihre Aufgabe war meßtechnisch äußerst aufwendig und wurde erschwert durch Auseinandersetzungen mit der einheimischen Bürokratie.

Sie vermaßen Dreiecke, deren Eckpunkte auf den höchsten Bergen des Landes lagen (Triangulation). Dazu mußten die Meßtrupps tage- und wochenlang in Höhen um 5000 Meter campieren, bis gutes Wetter die Sicht zu den anderen Gipfeln ermöglichte.

Gleichwohl kann man den Bericht und die Leistung der Teilnehmer nur verstehen, wenn ihr Vorhaben eingebettet ist in die wissenschaftliche Diskussion der Zeit und in die politischen Verhältnisse. Einleitend fragt die Herausgeberin Barbara Gretenkord, eine Historikerin, „Warum kannte niemand die wahre Gestalt der Erde?“ Als Vorlage dieses Bandes diente ein kompilierter Reisebericht, der 1758 in Band 15 & 16 »Der Allgemeinen Historie der Reisen zu Wasser und Lande …« erschien. Dieser hatte den Vorzug, auf mehrere primäre Quellen zurückzugreifen und in besonderem Maße reisepraktische Aspekte zu berücksichtigen, die die Dauer der Expedition erklärten. Der Bericht der Reisenden ist in heutiges Deutsch übertragen und leicht bearbeitet. Anmerkungen erläutern Hintergründe, auch die Situation in den spanischen Kolonien wird erklärt. Inhaltlich vermisse ich nur eine zusammenfassende Darstellung der Expeditionsarbeit, also Meßergebnisse und Resultate.

Vorstellung, Phantasie und Wirklichkeit

Karten triggern die Phantasie mit leeren Flächen zwischen den bekannten Wegen. Die füllte man früher mit Löwen (hic sunt leones). Heute werden dort Visionen mittels Freehand eingebaut.

Die ungeheuren Meeresflächen verführten dazu, Inseln zu erfinden. Wohin das – auch ohne betrügerische Absicht – führen kann, zeigt:

Doch der Reihe nach: Muhiddin Piri ist eine historische Persönlichkeit und lebte von etwa 1470 bis 1554; der Zusatz „Reis“ ist ein Titel, der etwa Kapitän bedeutet. Er schrieb das »Seefahrerbuch«, Kitab Bahriye, und zeichnete Seekarten, von denen zwei erhalten blieben. Einen Teil der zweiten Karte entdeckte man 1929 im Topkapi Palast in Istanbul. In den 60er Jahren entwickelte Hapgood seine These: Auf der Karte sei die Küstenlinie des antarktischen Kontinents exakt wiedergegeben. Bereits die Tatsache, daß er 250 Seiten für den „Beweis“ braucht, zeigt, daß das eben nicht so augenscheinlich ist. So geht Hapgood einen komplizierten Weg:

Das alles weiß natürlich auch der Verlag. Also peilt er zwei Zielgruppen an: zum einen die Fans prähistorischer Verschwörungsmythen und zum anderen alle jene, die aus Unkenntnis die muffigen Ideen des alten Schinkens für frisch und neu halten. Zur Literatur über Piri Reis siehe Weltbild.

Zentren der Kartenproduktion: Kartographenschulen

Arabischer Raum

Eine Gesamtschau, wie sich die arabische Kartographie in islamischer Zeit entwickelte, bietet:

Das Kitāb al-Masālik wa-l-Mamālik 'Buch der Wege und Königreiche (كِتَاب ٱلْمَسَالِك وَٱلْمَمَالِك) bildet so eine Gruppe von Büchern (KMM), ist jedoch auch das gleichnamige Werk des persischen Geographen Ibn Khordadbeh(= Ibn Jurradāḏbih, um 820−um 912). Er kartierte und beschrieb die damals wichtigsten Handelsrouten bis hin nach Japan, Korea und China, da er als Beamter zuständig war für Post und Polizei. Diese Darstellungen entwickelten sich im Osten unter persischem Einfluss, sie zeigten anfangs griechische Einflüsse (Klimatenkarte) und einen Darstellungsmodus, der von den römischen Routen übernommen wurde (z. B. Itinerario Antonii).
Ibn Hawqal reiste explizit mit dem Ziel, Informationen über die Welt zu sammeln und zeigte sich unzufrieden mit den existierenden Werken von Ibn Khurradāḏbih und al-Jayhanī. Daher nahm er sich vor, Besseres zu schreiben. Die bis dahin bestehende Einteilung der Welt in klimatische Zonen (aqālīm) über und unter dem Äquator wurde aufgegeben. Stattdessen wurde die bekannte Welt in mamlaka (pl. mamālik) 'Region, Provinz' eingeteilt. In jedem Mamlaka verbanden die Reiserouten (masālik 'Pfade') die Orte, aufgeführt werden Entfernungen und bedeutende Männer, die dort lebten, aber auch historische Erzählungen. Eine Gruppe der Kartographen beschränkt sich auf die Welt des Islam und praktiziert eine religiöse Sicht auf diese Welt. Eine andere Gruppe bedient praktische Interessen, denn offensichtlich wurden solche Zusammenstellungen auch genutzt für Postrouten, von Verwaltungsbeamten oder zur Vorbereitung von Inspektionsreisen oder Kriegszügen.

England

Genua

Griechenland

Italien

Katalanen, Mallorca

Niederlande

Normandie

Portugal

Spanien

Epochenübergreifende Literatur

Literatur

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1)
Das »Museum ferner Gegenden« der Galerie für Landschaftskunst beschäftigt sich seit 1992 mit künstlerischen Kartierungen:
Ränder der Wahrnehmung von Christian T. Schön taz 31.03.2003, Ausgabe 7018 S. 21
2)
E. Fettweis
Orientierung und Messung in Raum und Zeit bei Naturvölkern.
Studium Generale 11.1 (1958) 1-12
3)
Emmanuel Anati
Felsbilder. Wiege der Kunst und des Geistes.
Vorwort Yves Coppens. Aus dem Italienischen von Brigitte Fleischmann-Calabrese. U. Bär Zürich 1991. 255 S., 41 großformatige Tafeln, Bibliographie
4)
Lehrbuch für Kartographiefacharbeiter VEB H. Haack Gotha 1988 Teil 1 (128 S.) und 2 (134 S.) mit akribischen und umfassenden Hinweisen zum Erstellen von Karten.
5)
G. Neumayer
Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen.
Mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der kaiserlichen Marine.
56 Holzschnitte, 3 lithogr. Tafeln, 696 S. Darin u.a. beispielhaft die »Skizze meines Weges am 1. Mai 1870 … drei Stunden bis Jerusalem … unterwegs entworfen von H. Kiepert
6)
Zum Problem der thematischen Weltatlanten.
Vorträge zum Kolloquium aus Anlass der 200-Jahr-Feier des Gothaer Verlagshauses 17. bis 19.9.1985 Friedrichroda.
VEB H. Haack Gotha 1985, 196 S.
Andrea Sick Kartenmuster. Bilder und Wissenschaft in der Kartografie.
Dissertation Uni Hamburg 2001/03